Geschichte(n) erzählen. Klio und Kalliope in der jüdischen Geschichte Zentral- und Osteuropas

Geschichte(n) erzählen. Klio und Kalliope in der jüdischen Geschichte Zentral- und Osteuropas

Veranstalter
Universität Graz, Centrum für Jüdische Studien
Veranstaltungsort
Centrum für Jüdische Studien, Beethovenstraße 21
PLZ
8010
Ort
Graz
Land
Austria
Findet statt
Hybrid
Vom - Bis
23.01.2024 -
Deadline
22.01.2024
Von
Martina Niedhammer, Collegium Carolinum, Forschungsinstitut für die Geschichte Tschechiens und der Slowakei (München)

Der Workshop, der am 23. Januar 2024 am Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz stattfindet und interessierten Diskutand:innen auch via Zoom offensteht, beschäftigt sich mit der Verflechtung von Literatur und Geschichte am Beispiel der jüdischen Geschichte Zentral- und Osteuropas vom 19. bis zum 21. Jahrhundert.

Geschichte(n) erzählen. Klio und Kalliope in der jüdischen Geschichte Zentral- und Osteuropas

2014 erschien in Polen ein umfangreicher Roman, der sein Lesepublikum auf eine Reise in die polnisch-litauische Geschichte des 18. Jahrhunderts mitnimmt, ohne doch ein historischer Roman im „klassischen“ Sinne zu sein: In den „Jakobsbüchern“ entwirft die spätere Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk ein Panorama jüdischer und nicht-jüdischer Lebenswelten rund um die Figur des charismatischen Häretikers Jakob Frank, das sich nicht nur auf zahlreiche zeitgenössische Quellen, sondern explizit auch auf die Expertise namhafter Forschender, darunter den Historiker Paweł Maciejko, stützt. Tokarczuks Roman gehört somit zu denjenigen Texten, die, in den Worten der US-amerikanischen Germanistin Lynn L. Wolff, „als literarische Texte Geschichte aus einer neuen Perspektive schreiben“. Doch obgleich die Erkenntnis, dass Klio (auch) dichtet, spätestens seit Hayden White niemanden mehr vollkommen überraschen wird, beschäftigt ihr Gegenstück, Kalliope als Geschichtsschreibende, Historikerinnen und Historiker weitaus weniger.

Diese spezifische Dimension der Verflechtung von Literatur und Geschichte nimmt der Workshop in den Blick. Im Mittelpunkt stehen dabei Texte vom 19. bis ins 21. Jahrhundert, die sich mit der jüdischen Geschichte Zentral- und Osteuropas auseinandersetzen, wobei die Grenzen zwischen literarischem Erzählen und „kreativer Geschichtsschreibung“ (Louise Hecht) fließend sind. Uns interessieren daher Schreibende und Forschende als Akteurinnen und Akteure an den Nahtstellen zwischen Geschichtswissenschaft und Literatur ebenso wie die von ihnen getroffene Auswahl und Verknüpfung von historischen Akteuren, Geschehnissen, Zeiten und Orten. Welche Erzählmuster strukturieren ihre Texte, wie werden historische Akteurinnen und Akteure konstruiert und welche Interferenzen mit vordringlich faktualen Texten, die der Geschichtswissenschaft zugeordnet werden, lassen sich dabei beobachten? Wie können diese für eine jüdische Geschichtsschreibung des östlichen Europas fruchtbar gemacht werden, die ihrem Selbstverständnis nach in einem besonders hohen Maße von „vielstimmigen“ Parametern wie Multiethnizität und Mehrsprachigkeit geprägt ist? Darüber hinaus ist auch die Rezeption literarischer und historiographischer Texte in ihrer wechselseitigen Interdependenz beziehungsweise das Ausmaß der Deutungsmacht, die beiden in der breiteren Öffentlichkeit zugeschrieben wird, von Interesse: So erfuhr Tokarczuks Schilderung der religiösen, sprachlichen und sozialen Pluralität in der frühneuzeitlichen polnischen Adelsrepublik in ihrem Heimatland zeitweise scharfe Kritik, während vorangegangene, ähnliche geschichtswissenschaftliche Befunde weitgehend unwidersprochen geblieben waren.

Die Veranstaltung findet hybrid statt, eine Zuschaltung per Zoom ist nach vorheriger Anfrage bei den Veranstaltenden möglich.

Programm

9.00 – 9.30 Unausgesprochene Verwandtschaft? Zum Platz von Klio und Kalliope in der jüdischen Geschichte Zentral- und Osteuropas
(Martina Niedhammer / Olaf Terpitz)

9.30 – 11.00 Panel I – Kreative Geschichtsschreibung oder der (Um)lauf der Geschichte

Louise Hecht (Wien): Böhmische Juden schreiben Geschichte(n). Ludwig August Frankls (1810-1894) Schriften zwischen „facts and fiction“

Matthias Melcher (München): Kalliope vermessen? Wie sich Geschichten verbreiten und was wir (als Historiker:innen) damit machen können, oder auch nicht

11.00 – 11.15 Kaffeepause

11.15 – 12.45 Panel II – Literarische Deutungen der Geschichte: Fluchtpunkte

Sabine Koller (Regensburg): Exil, Heimkehr und die Geschichte. (Säkulare) Messianismen in Dovid Hofshteyns Lyrik

Paula Wojcik (Wien): Fluchtgeschichten rückwärts erzählt. Verschiebungen narrativer Modelle von „Überlebenskampf“ zu „Entdeckungsreise“ in transgenerationalen Aufarbeitungen familialer Erinnerung

12.45 – 14.15 Mittagessen

14.15 – 15.45 Panel III – Von der Vielsprachigkeit zur Vielstimmigkeit: Ukraine und Belarus

Mariya Donska (Graz): Geschichte(n) entdecken. Mehrsprachigkeit und Hybridität bei Oleksandr Averbuch und Borys Chersons’kyj

Claire LeFoll (Southampton): History and Ethnography in Zmitrok Biadulia’s Literary Work

15.45 – 16.00 Kaffeepause

16.00 – 18.00 Panel IV – Die Geschichte im Roman: Historiographie mit anderen Mitteln?

Ines Koeltzsch (Wien): Literatur als transnationale Zeitgeschichtsschreibung avant la lettre. Die Romane „Das Slawenlied“ von F. C. Weiskopf und „Jahrestage“ von Uwe Johnson parallel gelesen

Anne-Kathrin Reulecke (Graz) (angefragt): Kindliches Erzählen im 20. Jahrhundert. Imre Kertész’ „Roman eines Schicksalslosen“ (1975) und Ágota Kristófs „Das große Heft“ (1986)

Laura Fischer (Wien): Einblick in die Schreibwerkstatt

18.30 Abendessen

Kontakt

martina.niedhammer@collegium-carolinum.de; olaf.terpitz@uni-graz.at